Der Anfang
1978
Erste vereinzelte Tandemfahrten.
1979
Etwa 20 Blinde und Sehende treffen sich einmal im Monat in Bad Homburg v.d.H., um vom Schuppen an der alten Feuerwache aus gemeinsame Tandemfahrten von ca. 40 km in die Umgebung zu unternehmen.
1980
Der Tandemclub „Weiße Speiche e.V.“ wird in Frankfurt am Main als erster seiner Art gegründet. Der Name verbindet den weißen Blindenstock mit dem Fahrradfahren.
Unterstellmöglichkeiten für die Tandems fand man in einer Schule in Bad Homburg-Gonzenheim und später im Frankfurter Stadtwald am Gasthaus an der Oberschweinstiege.
1984
Endlich konnte man in den ehemaligen Warteraum des alten Bahnhofsgebäudes in Frankfurt-Schwanheim einziehen. Hier waren die Bedingungen nahezu optimal: Straßenbahn, Bus, Telefon, Toiletten, Wasser, Kiosk, Parkplatz, genügend Platz zum Aufstellen der Tandems vor der Fahrt und natürlich auch die gute Lage am südwestlichen Stadtrand von Frankfurt.
Der Club wächst
Inzwischen fuhren bis zu 35 Tandems bei einer Fahrt in einer einzigen Gruppe. Dazu kamen meist noch Einzelradfahrer, so daß die Gruppe vollkommen unübersichtlich wurde. Schon bei 20 Tandems entstanden bei Pannen, an Ampeln, Kreuzungen und Steigungen so große Abstände und Lücken, daß die hinteren Räder den Anschluß an den vorderen Gruppenteil verloren und sich dann des öfteren verfuhren. Also suchte man nach Lösungen, um den Zusammenhalt zu gewährleisten.
Anfangs teilte noch der Schlußfahrer über ein Sprechfunkgerät dem Wegführer an der Wegspitze mit, wo er sich befand und ob eine Panne die Weiterfahrt verzögerte. Später streute der Wegführer Sägemehl an jeder Abzweigung auf den Boden, aber im schattigen Wald oder bei Wind konnte man diese Markierungen nicht immer erkennen. Daher versuchte man „menschliche“ Wegweiser (jeweils das erste Tandem hinter dem Wegführer) an den Abzweigungen stehen zu lassen, die dann auf den Schlußfahrer warten mußten. Aber die ehrgeizigen Fahrer wollten ihren „Spitzenplatz“ nur widerwillig aufgeben und die ungeduldigen nicht ewig auf den Schlußfahrer warten.
Mehrere 40 km-Gruppen
Also gab es nur eine einzige Lösung: Man teilte die durchschnittlich 25 Tandems in kleine Gruppen auf. Sie sind übersichtlicher, sicherer und schneller als die langgezogene Gesamtgruppe. Außerdem kann in den einzelnen Gruppen das Tempo individuell angepaßt werden, wodurch die Gruppen besser zusammenbleiben und ein gleichmäßiges Fahren möglich wird.
Mehrere Gruppen erfordern mehrere Fahrer, die die Strecke und den Zielort kennen. Anfangs führte man deshalb Vorfahrten durch, bei denen die Strecke mit den Wegführern abgefahren wurde. Karten sollten bei der Orientierung helfen. Die Vorfahrten erforderten bei allen Teilnehmern Telefonanrufe, zusätzliches Hin- und Herfahren nach Frankfurt-Schwanheim und auch zusätzliche Geduld, weil die Strecke beim zweiten Mal an Spannung verlor. Da die Umgebung von Schwanheim bald allen Wegführern bekannt war, wurde später auf die Vorfahrten verzichtet…
Die Wegführer können ihre Gruppen inzwischen selbständig zu den Zielorten führen und brauchen dafür nur noch den Streckenplan. Allein neue Baustellen sorgen gelegentlich für Überraschungen, aber sie lassen sich meist problemlos umfahren. So schaffen heute die meisten Fahrer die Vormittags-Strecke von 20km zwischen dem Start in Frankfurt-Schwanheim und einem vorher reservierten Gasthaus in etwa zwei Stunden.
Die 60 km-Gruppe
Wer jedoch genug Kondition und Radfahrlaune hat oder oft schon viel früher am Restaurant ist, fährt dann statt der 20km in derselben Zeit 30km. So wurde die 60km-Gruppe geboren. Dabei werden manchmal neue, noch unbekannte Wege erkundet oder auch reizvolle Abstecher zu schönen Gegenden gemacht. Bei schönem Wetter immer ein willkommenes Angebot. Dann schmecken das Mittagsessen und das kühle Bier nach der Fahrt nämlich nochmal so gut.
Die Mittagspause
Die ganztägigen Tandemfahrten werden um 13 Uhr von einer Mittagspause in einem Restaurant unterbrochen. Bei den anfänglichen Teilnehmerzahlen von 20 Personen fand man in jedem Restaurant ausreichend Platz. Später stiegen die Teilnehmerzahlen auf 60 Personen an. Nun ein Restaurant zu finden, daß eine so große Gruppe zur Mittagszeit in möglichst kurzer Zeit verköstigen kann, ist nicht mehr ganz so einfach. Außerdem muß Platz für die vielen Tandems vorhanden sein. Zudem soll das Restaurant innerhalb des 20km-Radius und möglichst reizvollgelegen sein. Hier ist also besondere organisatorische Arbeit vor der eigentlichen Tandemfahrt erforderlich.
Die Tücken der Technik
Eine besondere Herausforderung sind die Fahrradpannen unterwegs. Anfangs kannte kaum einer die notwendigen Handgriffe, zum Beispiel zum Auswechseln eines geplatzten Schlauches. Auch muß bei einer Panne meist die gesamte Gruppe stehenbleiben, worüber allerdings nicht jeder wirklich unglücklich ist, weil so mehr Gespräche untereinander möglich sind. Einige Zeit hatten wir einen Reparatur-Tandemfahrer mit Werkzeug und Ersatzteilen am Ende einer Gruppe, der sich um die liegengebliebenen Räder kümmern konnte. So konnten die anderen weiterfahren, um möglichst pünktlich am Restaurant zu sein. Leider geht uns dieser wichtige Mann verloren, da er im Januar 2002 ins Ausland geht. Die Wegführer der einzelnen Gruppen sind inzwischen alle mit Werkzeug ausgerüstet, so daß die kleinen Pannen meist vor Ort behoben werden können. Nach und nach versuchen wir, die älteren Räder (z.T. schon mehr als 20 Jahre alt) gegen neuere zu ersetzen.
Auslandsfahrten
Anfang der 80er Jahre wurden mehrere einwöchige Reisen nach Holland organisiert. Auf Autodachträgern für Tandems und auf einem flachen Autoanhänger wurden die Tandems zur Ferienhausanlage „Sollasi-Park“ bei Nordwijkerhout gebracht. Dort hatte man Häuser gemietet, von denen aus Tandemfahrten durch die Felder, Dünen, Wälder und Blumenfelder entlang der Nordseeküste zwischen Amsterdam/Ijmuiden und Rotterdam/Hoek van Holland unternommen wurden.
Mitte der 80er Jahre kam als Alternative das exponiert gelegene Hotelrestaurant Hartenthal bei Bad Wörishofen im bayrischen Allgäu hinzu. Hier im schönen Alpenvorland konnte man zwischen der Donau und dem Alpenrand in hügeliger Landschaft ebenfalls sehr gut radfahren. Ebenfalls in diese Zeit fielen Besuchsfahrten zu Tandemclubs in Süddänemark und in der Schweiz.
Auch aktuell gibt es in jedem Jahr Auslandsfahrten, die von einigen Mitgliedern organisiert und durchgeführt werden. Auf der offiziellen Homepage www.weissespeiche.de gibt es einige Hinweise hierzu.
Sport
Die „Weiße Speiche“ bietet nicht nur beschauliches! Am 1. Mai 1985 fand in Frankfurt als Vorprogramm zum großen Radrennen „Rund um den Henninger Turm“ das 1.Euronationale Tandemrennen statt. Was in Frankfurt mit 25km ganz bescheiden anfing, wurde im Vorprogramm der Tour de France 1985 zu einem etwa 250km langen, mehrtägigen Tandemrennen bei Paris mit internationalen Teilnehmern ausgebaut. Auch der „Tandemclub Weiße Speiche e.V. Frankfurt“ war jedesmal mit einigen Teams vertreten. In den vergangenen Jahren fuhren immer wieder einzelne Teams bei verschiedenen Rennen mit, wozu nach und nach auch die entsprechenden Renntandems angeschafft wurden. Sie wurden dem Verein, der als gemeinnützig annerkannt ist, zusammen mit mehreren „normalen“ Tandems sowie zwei neuen PKW-Anhängern von der Gassen-Stiftung und dem Lion´s Club gespendet und in einer Garage untergestellt.
Nach 21 Jahren starteten am 1. Mai 2006 wieder zwei unserer Tandems beim Radrennen-Klassiker “ Rund um den Henninger Turm „, der seit 2009 Eschborn-Frankfurt-City-Loop heißt.
Auch in den folgenden Jahren nahmen einige Tandems am 1.Mai-Radrennen teil. So starteten die Tandemclubs aus Offenbach und Frankfurt 2007 unter einen Team-Namen mit 10 Tandems! Bei gutem Wetter war es sicher für alle Teilnehmer ein Erlebnis, als „Jedermänner“ auf der Strecke der Profis von mehreren hunderttausend Leuten am Straßenrand angefeuert zu werden.